Mittwoch, 22. Juni 2016

Anne Sanders - Sommer in St. Ives



Wenn die 75-jährige Großmutter genau ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes um ein Familientreffen bittet, dann werden keine großen Fragen gestellt, dann reist die Sippe an. Notfalls eben auch bis in ein kleines englisches Fischerdorf, in dem sie alle zusammen den Sommer verbringen wollen. Doch spätestens als Großmutter Elvira ihre Familie am ersten gemeinsamen Abend statt in ein gediegenes Restaurant in einen Pub führt, in dem ein Rockkonzert stattfindet, ist klar, diese Ferien haben es in sich.

"Alte Liebe. Neues Glück. Und ein verrückter Sommer in Cornwall..."

Das trifft den Inhalt ziemlich gut, denn Beziehungen sind das zentrale Thema dieses Buches, in allen ihren Formen. Zwischen Mutter und Tochter, zwischen Geschwistern, zwischen frisch verliebten Paaren und Auseinandergelebten. Alt und neu, verloren und wiedergefunden, alles ist dabei. Und das Ganze ohne Kitsch-Overkill, wofür es einen Sonderpunkt gibt. Denn wenn eine Familie, deren Mitglieder vollkommen unterschiedlich sind und die sich nicht unbedingt so wahnsinnig nahe stehen plötzlich für sechs Wochen im selben Haus wohnen soll, dann fliegen auch schon mal die Fetzen. Und manchmal braucht es eben genau das, um wieder zueinander zu finden.  



Die Geschichte wird größtenteils aus der Sicht von Elviras Enkelin Lola erzählt, unterbrochen von kleinen Episoden aus Elviras Vergangenheit. Diese nehmen jedoch vom Umfang her einen relativ kleinen Teil ein. Der Hauptteil der Geschichte ist in der Gegenwart angesiedelt. Die Elvira-Passagen wirken etwas ernsthafter, wogegen die Abschnitte aus Lolas Sicht herrlich locker und humorvoll gehalten sind, voller überraschender Ideen. 

Um es kurz zu machen, dieses Buch ist einfach zauberhaft. Wer noch ein Wohlfühlbuch für den Sommer sucht liegt hier goldrichtig.

Sonntag, 19. Juni 2016

Jim Butcher - Windjäger



Originaltitel: The Cinder Spires: the Aeronaut's Windlass
Übersetzer: Andreas Helweg




Das Cover mag vielleicht nicht darauf hindeuten, aber zwischen den Buchdeckeln verbirgt sich ein actiongeladenes Steampunk-Abenteuer. Der Meister der Dresden-Files hat ein neues Terrain betreten... und es ist geglückt.



Nachdem die Welt von Nebel überzogen ist und Monster die Oberfläche heimsuchen hat sich die Bevölkerung in riesige steinerne Türme zurückgezogen. Und mit riesig ist gemeint, dass sie jeweils die Bevölkerung einer Großstadt oder eines kleinen Landes beherbergen. So riesig, dass viele Bewohner niemals den freien Himmel sehen und das Leben auf dem Erdboden mittlerweile zu einer fernen Erinnerung verblasst ist. Noch dazu zu einer, die bloß für Schauergeschichten taugt. Verkehr zwischen den Türmen ist daher nur per Luftschiff möglich.

Allein schon das Setting macht den Roman spannend, einfach weil es mal etwas völlig anderes ist. Die einzelnen Türme sind völlig autark, was natürlich nicht heißt, dass es nicht trotzdem Gründe gibt, auf bestimmte Resourcen seiner Nachbarn zu schielen. Und so kommt es zu einem Luftschiffangriff auf den Turm Albion. Dieser kann zwar zurückgeschlagen werden, es stellt sich jedoch heraus, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelte und währenddessen der Turm infiltriert wurde. Da es Hinweise auf Verräter innerhalb der eigenen Garde gibt stellt der Archon ein unabhängiges Team zusammen, dass die Verschwörung aufdecken und die Spione entlarven soll.

Neben dem Erfinden von ungewöhnlichen Settings hat Butcher auch ein Händchen für das Entwerfen interessanter Figuren. Sei es nun der Archon, der sich selbst als bloße Galionsfigur der Regierung bezeichnet, der leicht irre Ätherikermeister (okay, total irre) und sein Lehrmädchen (leicht irre) oder Kapitän Grimm, alle wirken lebendig und haben auch nach dem Roman noch etliche dunkle Ecken im Lebenslauf, auf die hoffentlich in einem Nachfolgeroman näher eingegangen wird. (Es gibt zwar keinen direkten Cliffhanger, das Buch schreit aber geradezu nach einer Fortsetzung.)

In Bezug auf die Figuren dieses Romans muss unbedingt noch Rowl erwähnt werden, denn dieser Geselle ist wirklich eine Marke für sich. Rowl ist eine Katze. Eine sprechende Katze. An dieser Stelle klinke ich mich in Geschichten normalerweise aus, weil ich sprechendes Viehzeugs nicht leiden kann. *seufz* Rowl ist eine großartige Figur. Butcher hat es tatsächlich geschafft, dass ich eine sprechende Katze akzeptiere. Das Tier ist arrogant, biestig und eine richtig coole Socke.

Sprachlich ist das Buch locker flockig leicht gehalten. Nichts Kompliziertes, dafür kommt Butchers Humor aber auch in der Übersetzung gut rüber. (*hust* bis auf die ein oder andere Szene, in der eine englische Redewendung/Wortspiel wörtlich übernommen wurde. Das stört jetzt zwar das Gesamtbild nicht sooo wahnsinnig, hat mich aber an ein paar Stellen ziemlich raus gehauen.)

Dagegen ist der Klappentext leider... nicht so dolle. Da steht was von "festungsartigen Städten auf den Gipfeln der Berge". Nope. Da sind Türme, mit vielen durchgeplanten Ebenen und Versorgungs- und Lüftungsschächten. Definitiv keine Berge. Und auch keine Städte oben drauf. Und wo kommt plötzlich das Luftschiff "Jäger" her? Falls es erwähnt wurde ist es mir entgangen. Grimm befehligt jedenfalls die "Raubtier". Und es ist auch nicht direkt sein Auftrag sonder eher der des Ätherikermeisters... Ähm. Ja.


Wertung: fünf Luftschiffe und eine Barkasse (soviel wie ein halbes Schiff)